Gestatten: Selection-Bias
Um sich klug zu verhalten, muss ein Lebewesen die Gesetzmäßigkeiten seiner Welt kennen. Die einfachste und ursprünglichste Methode, von diesen Gesetzmäßigkeiten zu wissen, ist, sie aus der eigenen Beobachtung zu schlussfolgern. Das geschieht ganz intuitiv. Alles, was wir zufällig erleben und erfahren, wird einer unterschwelligen Stichprobe hinzugefügt, aus der wir Beschaffenheit und Funktionsweise der Welt ableiten. Wir vertrauen dieser Methode, denn in einer einfachen Umgebung funktioniert sie tatsächlich recht gut, und falls nicht, ist das meistens leicht zu bemerken. So weiß ein Sportlehrer an einer regulären Schule, wie es um die Sportlichkeit der Jugend bestellt ist. Seine Schüler geben eine taugliche Stichprobe ab. Nur wenn er großes Pech hat, fällt diese Stichprobe zufällig weit aus dem Rahmen und vermittelt ihm ein falsches Bild. Ein Sportlehrer an einer Sportschule kann dagegen auf diese Art nicht schlussfolgern. Seine Schüler sind überdurchschnittlich sportlich und bilden deshalb keine geeignete Stichprobe für die Frage nach der allgemeinen Sportlichkeit. Wollte er sich zu dieser Frage eine Meinung bilden, dann müsste er den größten Teil seiner Beispiele ignorieren, nämlich alle seine Schüler, und sich auf den kleinen Rest stützen, bestehend aus den Jugendlichen, die er zufällig sonst noch so kennt. Der Sportschullehrer weiß von der Besonderheit seiner Situation und wird deshalb den Fehler, sein Weltbild auf eine verzerrte Stichprobe aufzubauen, nicht begehen. Analoges gilt für uns alle. An irgendeiner Stelle hat jeder Mensch mit einer verzerrten Stichprobe zu tun, ist sich dessen aber bewusst und verwendet sie deshalb nicht für Fragen, für die sie nicht geeignet ist. Leider versagt diese Alltagsvernunft, wenn sie mit der modernen Welt und ihren massiv gefilterten Informationen konfrontiert ist. Nachschlagewerke, Massenmedien und die Aufmerksamkeitsmechanismen der sozialen Netzwerke tragen uns ausgewählte Vorkommnisse zu. Die Auswahl ist einseitig, und als Stichprobe suggeriert sie falsche Tatsachen bis hin zum Gegenteil der wahren Verhältnisse. Eigentlich müssten diese Informationen aus statistischer Sicht völlig anders behandelt werden als eigene Beobachtungen, denn sie sind nicht entfernt zufällig oder auf andere Art repräsentativ. Sie bilden für kaum eine interessante Frage eine brauchbare Stichprobe. Aber unsere Intuition berücksichtigt das nicht. Wir behandeln zugetragene, gefilterte Informationen wie eigene Beobachtungen, fügen sie fröhlich unserer Welt-Stichprobe hinzu und verderben diese damit. Die Folge ist diverser Unsinn, der sich in unseren Köpfen breit macht. Wir werden von verfehlten Assoziationen geleitet und haben falsche Vorstellungen vom Typischen:
Auffällig ist das Muster, dem alle diese Beispiele folgen. Wir halten eine Mücke viel zu schnell für einen zukünftigen Elefanten, weil die Geschichten, die wir kennen, vor allem Geschichten von Elefanten sind. Solche Gedankengänge mögen keinen großen gesellschaftlichen Schaden anrichten, aber sie wecken doch falsche Hoffnungen und führen damit am Ende zu Enttäuschung, besonders dann, wenn man selbst die Mücke ist. Allgemein lässt sich formulieren: Eine Sammlung von Beispielen ist dann ungeeignet, eine Vorstellung über einen Sachverhalt zu vermitteln, wenn eine Abhängigkeit besteht zwischen diesem Sachverhalt und dem Mechanismus, der die Sammlung hervorgebracht hat. Zugetragene Informationen sind nach Bedeutung und Aufregungswert gefiltert, deshalb taugen sie häufig gerade nicht, um sich ein Bild zu bedeutenden und aufregenden Fragen zu machen. Eine Gruppe von 20 erfolgreichen Schriftstellern bildet eine brauchbare Stichprobe für Schuhgröße und Haarfarbe, nicht aber für Erfolg. Der Weg, sich nicht in die Irre führen zu lassen, ist die Interpretation des eigenen Wissens mit weniger Intuition und mehr Bewusstsein. Bei manchen Fragen wird man damit feststellen, dass man sich trotz einiger Beispiele, die man kennt, kein Bild machen kann, weil alle diese Beispiele aus einer einseitigen Auswahl stammen. Bei anderen Fragen hat man neben solchen schlechten Beispielen auch gute und muss die schlechten eben vorübergehend vergessen. Manchmal ist schon ein einziger Fall, den man zufällig aus dem persönlichen Umfeld kennt, eine bessere Stichprobe als 20 zugetragene Geschichten. 03.01.2016 |
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