Fernpunkt

Vom kleinen und vom großen Gewinn

Kurz: Die meisten unschönen Erscheinungen, die als Effekte des Profitstrebens von Unternehmen angesehen werden, haben in Wahrheit eine andere Ursache. Der Verweis auf das Profitstreben ist eine bequeme und nutzlose Ausflucht.

Wenn in einem Dorf jeder für sich alleine loszieht, um Brennholz für seinen Ofen zu schlagen, dann ist nach 50 Jahren der Wald, der dort mal stand, weg. Alternativ kann sich einer der Dorfbewohner auf diese Aufgabe spezialisieren, also das Holz für alle beschaffen und es ihnen verkaufen. Nach wie vor wärmt dann das Holz die Häuser des gesamten Dorfes, und auch für den Wald ändert sich nichts. Nur die Arbeit ist anders verteilt. Der Unterschied ist: In der zweiten Variante lässt sich behaupten, schuld am Verschwinden des Waldes sei nur die Profitgier des Holzfällers.

Schuld ist ein sinnvolles Konzept und die Feststellung von Schuld häufig einer der ersten Schritte auf dem Weg zur Verbesserung. Aus der Schuld lässt sich die Stelle ableiten, an der angesetzt werden muss. Zusätzlich erwachsen aus dem Erkennen der Schuld gleich zwei große Annehmlichkeiten. Erstens ist die Frage geklärt, wie das Unschöne in die Welt gelangt. Das Rätsel wurde gelöst, es bleibt nichts zu grübeln, der Verstand ist befriedigt. Zweitens sind alle außer dem Schuldigen von Verantwortung frei gesprochen. Sie müssen ihr Verhalten nicht ändern; in der Pflicht sind andere.

Das Unglück ist, dass sich diese angenehmen Effekte der Schuldzuweisung für den, der davon nicht betroffen ist, auch dann einstellen, wenn sie falsch ist.

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In einer Marktwirtschaft spielt bei allen wirtschaftlichen Vorgängen das Motiv des Gewinns eine Rolle, nämlich auf Seiten der beteiligten Unternehmen. Was auch immer vor sich geht, irgendeiner will dabei Gewinn machen, was Einfluss auf den ganzen Vorgang hat. Damit bietet sich das Profitstreben als universelle Erklärung für alles an, was passiert, insbesondere für das, wofür es nach einer Erklärung verlangt: Umweltzerstörung, Tierquälerei, schlechte Arbeitsbedingungen, rücksichtsloser Umgang mit den Beschäftigten. Wenn nur der Unternehmer auf seinen Profit verzichtete, dann gäbe es all diese Auswüchse nicht, so die These.

Natürlich ist es richtig, dass der Unternehmer einen Anreiz hat, die Kosten zu reduzieren, um seinen Gewinn zu vergrößern. Aber die Kosten würden auch ohne diesen Anreiz reduziert, weil im Wettbewerb nur die Unternehmen bestehen, die das beste Produkt zum geringsten Preis anbieten. Im Übrigen ist das Steigern des Gewinns durch Kostenreduzierung kaum nachhaltig möglich. Wenn ein Unternehmer seine Kosten reduzieren kann, dann können es die Konkurrenten im Allgemeinen auch. Sobald einer den Kostenvorteil an die Kunden weiter gibt, sind die anderen gezwungen, nachzuziehen, sonst könnten sie ihre Leistungen nicht mehr verkaufen. Das ist keine Theorie, sondern ein statistischer Fakt. Der Anteil des Gewinns an den Einnahmen eines Unternehmens, die Umsatzrendite, ist gering und auch nach Jahrzehnten und Jahrhunderten der Rationalisierung gering geblieben. Er liegt typischerweise im mittleren einstelligen Prozentbereich. Der Großteil der Kosteneinsparung durch Umweltzerstörung, Ausbeutung usw. kommt beim Endkunden an. Dieser ist der Hauptprofiteur der Einsparungen einschließlich ihrer Auswüchse.

Somit ist allein durch Verzicht auf den Profit der Unternehmen wenig zu gewinnen. Nehmen wir großzügig an, der Unternehmer habe eine Umsatzrendite von 10%. Das bedeutet: Er kann unter kompletter Aufgabe seines Gewinns die Ausgaben um etwa 10% steigern, dann werden sie durch die Einnahmen gerade noch gedeckt. Ignorieren wir, dass diese selbstlose Verhaltensweise für ihn sogar ungünstiger wäre, als seinen Laden einfach zu verkaufen und das Geld für 0,5% Zinsen auf ein Sparbuch zu legen. Wie groß wäre der Nutzen? Was wird aus der Legebatterie mit 10% mehr Platz und 10% mehr Licht für jedes Huhn? Eine Legebatterie.

Der Fehler in der Logik, die das Profitstreben für alles Übel verantwortlich macht, liegt darin, das Interesse einer einzelnen Partei, nämlich das Interesse der Unternehmen am Profit, als das einzige an den Vorgängen beteiligte Interesse wahrzunehmen. Aber ein anderes Interesse einer anderen Partei genügt bereits für alle Effekte der Kostenreduzierung und wird, wie dargelegt, durch diese Effekte am Ende auch erheblich stärker bedient. Es ist das Interesse an möglichst großem realen Nutzen bei möglichst geringem realen Aufwand.

Da dieses Interesse im Gegensatz zum kapitalistischen Profitstreben unabhängig von der Wirtschaftsordnung immer besteht, entfaltet es auch immer seine Wirkung, auch dann, wenn Profite nicht angestrebt werden oder gar nicht möglich sind. Die vermeintlichen Auswüchse der Profitgier finden dann ohne selbige statt.

Beispiel Umweltzerstörung: Das Bewahren der Umwelt erhöht den Aufwand, der nötig ist, um etwas zu erreichen. Abwasser und Abgas müssen gereinigt werden, Energie muss regenerativ gewonnen werden, statt einfach Kohle zu verbrennen, der Wald muss nachhaltig bewirtschaftet werden, statt ihn abzuholzen. Deshalb lassen sich fast alle Ziele mit geringerem Aufwand erreichen, wenn die Zerstörung der Umwelt in Kauf genommen wird. Der größte Nutzen bei geringstem Aufwand entsteht unter Zerstörung der Umwelt. So finden sich Beispiele für massive Umweltzerstörung quer durch alle Wirtschaftsordnungen. Das spanische Königshaus ließ im 16. Jahrhundert ganz Spanien für den Bau seiner Armada abholzen. Das brachte den größten Machtgewinn bei geringstem Aufwand - jedenfalls war das die Annahme. Die toten Flüsse und verpesteten Industriestädte des ehemaligen sozialistischen Ostblocks sind legendär. In den Fabriken der DDR, der kapitalistischen Profitgier weitgehend unverdächtig, wurden Abgase mitunter bewusst nicht gereinigt, um Energie zu sparen, also den Gesamtaufwand der Produktion zu reduzieren. Es braucht für Umweltschäden nicht einmal die Existenz von Geld. Um einen Wald zu zerstören, genügen Dorfbewohner, die nach dem einfachsten Weg suchen, ein warmes Zuhause zu haben. Um die Umwelt zu schützen, müssen bestimmte attraktive Verhaltensweisen verboten werden, und das gilt für jede Wirtschaftsordnung.

Analog verhält es sich mit den anderen Kostenfaktoren wie den Arbeitsbedingungen oder der Gestaltung der Tierhaltung. Hauptursache für Einsparungen ist das Motiv, mit wenig Aufwand viel zu erreichen. In einer Marktwirtschaft bei gesundem Wettbewerb sind die Verbraucher mit ihrem Kaufverhalten die Erzeuger dieser Triebkraft, gleichzeitig sind sie die größten Profiteure der Wirkung. Das Profitstreben der Unternehmen ändert wenig - die meisten unschönen Effekte träten auch dann auf, wenn die Unternehmen unter den Bedingungen des Wettbewerbs ihren bloßen Erhalt als einziges Ziel anstrebten.

Aber diese Vorstellung ist eben nicht bequem. Lieber beruft man sich auf die eigene Spezialisierung, sofern man zu den Glücklichen gehört, die sich darin nicht persönlich die Hände schmutzig machen. Der Programmierer erschafft tolle neue Software, die Ärztin heilt Menschen, und schuld an allen Schlechtigkeiten sind die unersättlichen reichen Knilche.

Wenn es wirklich um eine Verbesserung der Lage geht und nicht nur ums persönliche Wohlbefinden, dann haben die Antworten wenig mit dem Streben nach Profit zu tun.

Variante Eins: Ein großer Teil der Verbraucher ändert sein Verhalten. Das bedeutet nicht nur, dass sie einen höheren Preis für ihre Produkte zu zahlen bereit sind, denn allein damit schlägt tatsächlich die Profitgier zu, nämlich die des letzten Händlers, der die höheren Einnahmen einfach für sich behält, während sich an den Umständen der Produktion nichts ändert. Nein, die Verhaltensänderung müsste auch einschließen zu prüfen, ob die Produktion den eigenen Vorstellungen entspricht, eingeschlossen die Produktion der verwendeten Rohstoffe, Vorprodukte und Produktionsgüter. Allerdings ist das schon für ein einzelnes komplexes Produkt für den Endkunden kaum zu leisten, geschweige denn für alle konsumierten Produkte in ihrer Vielzahl. Er müsste entsprechende Informationen also überwiegend von Spezialisten einholen und dafür bezahlen.

Variante Zwei: Es werden Gesetze erlassen, die die unerwünschten Ausprägungen der Produktionsverfahren verbieten - so wie das einst zum Schutz des Waldes getan wurde, und zwar lange vor dem Aufkommen dessen, was man Kapitalismus nennt.

22.12.2014

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