Fernpunkt

Star Trek, die Nicht-Utopie

Kurz: Stark Trek zeigt keine besonders lebenswerte Zukunft.

Nein, selbstverständlich muss es das nicht. Star Trek muss keine hochentwickelte Gesellschaft entwerfen. Es erzählt von phänomenaler Technik und von interessanten Situationen, die durch sie entstehen. Das reicht völlig, um gute Science-Fiction zu sein, und ich bestreite mit keiner Silbe, dass Star Trek das ist.

Bekanntermaßen wurde aber von den Schöpfern sehr wohl auch die Absicht verfolgt, eine besonders lebenswerte Zukunftsgesellschaft zu demonstrieren, und nach vorherrschender Meinung der Zuschauer ist das gelungen. Star Trek gilt als positive Utopie. Ich werde darlegen, dass dieser Eindruck eine Suggestion ist, wobei ich mich speziell auf die zweite Star-Trek-Serie namens "The Next Generation" beziehe, in welcher der Eindruck von der wundervollen Zukunft vermutlich seinen Höhepunkt erreichte. Ich behaupte:

  1. Über die bestehende Gesellschaftsordnung schweigt sich die Saga weitgehend aus, zum Beispiel hinsichtlich Politik und Wirtschaft. Es gibt dazu nicht mehr als ein paar Andeutungen, allesamt sehr knapp und meistens dem Muster folgend, dass irgendeine Kummerquelle der Gegenwart gar nicht mehr existiert. Selbst diese mageren Hinweise finden sich in weniger als 3% der Episoden, weshalb die Begeisterung über die Star-Trek-Zukunft schwerlich im Gesellschaftsentwurf begründet liegen kann.
  2. Der eigentliche Grund für die angenehme Wirkung von Star Trek ist die Art, wie die Geschichten konstruiert sind. Dank einer speziellen Perspektive und großzügig ausgenutzter dichterischer Freiheit fehlt darin der typische Alltagsverdruss. Und weil diese schönen Geschichten in der Zukunft spielen, entsteht eben die Vorstellung, das sei eine schöne Zukunft.

Der Eindruck, etwas Besseres gezeigt zu bekommen als das, was man so kennt, rührt vor allem aus vier Besonderheiten.

Besonderheit 1: Die Hauptfiguren sind durchweg nette Menschen, und jeder ist mit jedem befreundet.

Besonderheit 2: Die Handlung verläuft ganz überwiegend innerhalb der Sternenflotte, einer militärischen Organisation. Das Militär hat von je her gewisse utopische Züge. Erstens sind die Aufgaben, die im Militär anfallen, vergleichsweise einfach und lassen sich deshalb mittels schlichter hierarchischer Organisation sehr gut lösen. Komplexe und entsprechend problematische Strukturen sind überflüssig. Zweitens lebt das Militär von Ressourcen, die ihm von außen wie durch Zauberhand zugetragen werden. Das macht die Dinge einfach. Drittens erfreut sich die Welt des Militärs sehr genügsamer Bewohner. Die simpelste Methode, Glück und Zufriedenheit glaubhaft zu machen und eine Utopie damit zum Leuchten zu bringen, ist das Gründen auf allgemeine Anspruchslosigkeit.

Mit dem Rückzug in eine asketische Nische hält Star Trek den Zuschauer davon fern, das gezeigte Leben nach normalen Maßstäben zu bewerten. Er weiß, dass er es mit besonderen Menschen mit besonderen Prioritäten zu tun hat. Sie haben dieses Leben gewählt. Auf einer heutigen Polarstation oder einem Flugzeugträger lebt man auch bescheiden. Die Besatzungsmitglieder der Enterprise wohnen überwiegend in fensterlosen Blechhöhlen und teilen sich mit hundert anderen ein Holodeck, aber man akzeptiert sofort, dass sie glücklich sind, denn sie dienen auf der Enterprise! Die schier unlösbare Aufgabe, tatsächlich eine weit fortgeschrittene Lebensqualität der breiten Masse zu demonstrieren, geht Star Trek nicht an. Für diesen Bereich verlässt man sich auf abstrakte Behauptungen. Jede Konkretisierung würde nur enttäuschen.

Besonderheit 3: Es wird der Blickwinkel einer Elite eingenommen. Was gibt es Schöneres, als aus der anonymen Masse herauszustechen und am großen Rad zu drehen? Während düster gemeinte Zukunftsvisionen häufig einfache Menschen in den Mittelpunkt stellen, wird in Star Trek zur Illustration der schönen neuen Welt eine Clique von Bestimmern vorgeführt. Sollte es in der angeblich egalitären Star-Trek-Welt etwa einen großen Unterschied in der Lebensqualität zwischen Oben und Unten geben? Wenn nicht, warum wird dann beharrlich diese Perspektive gewählt? Es gibt fünf Serien, die im Star-Trek-Universum spielen. Keine einzige davon dreht sich um Personen auf durchschnittlichen Positionen, alle breiten ganz überwiegend das Leben einer kleinen Führungsschicht aus. Man kann fast den Verdacht haben, dass Star Trek anders nicht funktioniert.

Welchen Unterschied die Position ausmacht, demonstriert die Serie unfreiwillig selbst, nämlich in Folge 6.15 "Willkommen im Leben nach dem Tode". Dort erlaubt Q Picard, seine Vergangenheit zu ändern, was dieser auf unvorteilhafte Art tut und nun plötzlich nicht mehr ganz oben in der Kommandohierarchie des Schiffs steht, sondern eher am unteren Ende. Picard entscheidet sich schnell, das Experiment zu beenden und die Alternative zu wählen: seinen Tod. Für den Zuschauer ist das nachvollziehbar - aber nicht, weil Picard so kleinmütig und fantasielos geworden ist (was er selbst als Begründung angibt), sondern weil er nur noch eine Ameise im Ameisenstaat ist. Er hat nichts mehr zu melden. Er ist zu einem der Namenlosen geworden, die man sonst nur mit einem zackigen "Ja, Sir!" aus dem Bild eilen sieht. Was für den Großteil der Crew normal ist, enthält genug Grausamkeit, um sogar den Wunsch zu sterben plausibel zu machen. Es bleibt nicht viel übrig von der Star-Trek-Herrlichkeit, wenn sich nur der Blickwinkel auf das Geschehen ändert.

Besonderheit 4: Zu den bestimmenden Umständen des menschlichen Daseins gehört eine hohe Spezialisierung. Sie ist die Grundlage unseres Wohlstands und - in Form einer relativ eintönigen Arbeit - gleichzeitig der Preis, den wir für ihn zahlen. Aus diesem Dilemma schwindelt sich Star Trek dreist heraus, und sei es nur aus erzähltechnischen Gründen. Das Aufgabenfeld eines "Next Generation"-Charakters ist ein Wunschkonzert, das in keiner Zukunft und keiner Gesellschaftsordnung so zustande käme. Der Führungszirkel einer tausendköpfigen Gruppe besteht in der Realität immer aus Managern. Solche verbringen ihren Tag mit Planung und Kommunikation, während Spezialisten die fachlichen Aufgaben erledigen. Auf der Enterprise sind die Manager gleichzeitig die größten Spezialisten für alles - in dieser Hinsicht ist "The Next Generation" die herrlichste Kindergeschichte. Der Chefingenieur ist der größte technische Experte, der Sicherheitschef ist der beste Kämpfer, der erste Offizier ist der beste Pilot. Diese Universalspezialisten übernehmen immer genau die Aufgaben, die im Rahmen der jeweiligen Handlung die interessantesten sind. Dieser Unsinn trägt wesentlich zum angenehmen Gesamterlebnis bei.

Natürlich muss man der gezeigten Zukunftswelt neben diesen konstruierten Annehmlichkeiten ein paar echte Erfolge zugestehen: die Beseitigung von Hunger und Krieg auf der Erde, die beeindruckende Technik. Aber eine Gesellschaft mit fortgeschrittener Technik und ausreichend Nahrung muss nicht zwangsläufig eine hohe Lebensqualität aufweisen - Beispiele finden sich sowohl in der Science-Fiction als auch in der realen Geschichte. Es kommt darauf an, wie die Gesellschaft funktioniert, und dazu hat Star Trek keinen nennenswerten Plan. Die Hauptmasse der Erzählung mag interessant und sympathisch sein, aber sie enthält keinen Gesellschaftsentwurf.

Was in dieser Hinsicht bleibt, sind nur einige wenige Bemerkungen, die die Helden zu Wirtschaft, Politik und gesellschaftlichen Werten fallen lassen. Das passiert, wenn ich mich nicht verzählt habe, ganze vier Mal in 178 Folgen "The Next Generation" und mehreren zugehörigen Spielfilmen. Die entsprechenden Dialogpassagen summieren sich auf eine Gesamtlänge von etwa einer Minute. Das ist als Vision so bescheiden, dass es eigentlich keine Auseinandersetzung verdient. Sei's drum; im Folgenden sind die fraglichen Stellen wörtlich wiedergegeben, und ich versuche mich zu jeder an einer kurzen Diskussion. Sind die Andeutungen, wenn schon knapp, wenigstens in ihrer Zielrichtung plausibel?

Folge 6.1 "Gefahr aus dem 19. Jahrhundert". Counsellor Troy unterhält sich mit Mark Twain. Troy: "Armut ist auf der Erde beseitigt worden, schon vor geraumer Zeit. Und viele andere Dinge sind mit ihr verschwunden: Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Grausamkeit." [Original: "hopelessness, despair, cruelty", also exakt übersetzt.] Twain: "Junge Frau! Ich komme aus einer Zeit, in der die Menschen Macht und Wohlstand dadurch erreichen, dass sie auf dem Rücken der Armen stehen; in der Vorurteile und Intoleranz Allgemeingut sind und Macht nur in den Händen von wenigen liegt. Und sie wollen mir weismachen, dass dies bei Ihnen nicht mehr der Fall ist?" Troy: "Ganz recht."

An dieser Stelle besteht die "Vision" von Star Trek im simplen Wegdichten von Ärgernissen. Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung verschwinden? Wie das? Gibt es in der Zukunft keine Niederlagen mehr, keine verpassten Chancen, keine überzogenen und dadurch am Ende enttäuschten Erwartungen, keinen Liebeskummer? Die Märchenwelt lässt grüßen: Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende...

Spielfilm "Star Trek 8 - First Contact". Das Schiff reist in die Vergangenheit, ins 21. Jahrhundert, wo es zu einem Gespräch zwischen Picard und einer Frau namens Lily kommt. Lily über die Enterprise: "Wie viel hat dieses Ding gekostet?" Picard: "Die Wirtschaft der Zukunft funktioniert ein bisschen anders. Sehen Sie, im 24. Jahrhundert gibt es kein Geld." Lily: "Es gibt kein Geld? Wollen Sie damit sagen, Sie werden nicht bezahlt?" Picard: "Der Erwerb von Reichtum ist nicht mehr die treibende Kraft in unserem Leben. Wir arbeiten, um uns selbst zu verbessern und den Rest der Menschheit."

Und gleich hinterdrein geschoben:

Folge 1.26 "Die Neutrale Zone". Picard klärt drei Verschollene aus dem 20. Jahrhundert über die neue Zeit auf: "In den letzten drei Jahrhunderten hat sich unglaublich viel verändert. Es ist für die Menschen nicht länger wichtig, große Reichtümer zu besitzen. Wir haben den Hunger eliminiert, die Not, die Notwendigkeit, reich zu sein. Die Menschheit ist erwachsen geworden."

Gemach, Captain. Hunger und Not sind also überwunden. Ohne Zweifel ein großer Fortschritt, allerdings sprechen wir hier auch vom 24. Jahrhundert. Bis dahin, so lassen die Erfahrungen aus den Industrieländern vermuten, wären wohl auch unter Beibehaltung der heutigen Grundkonzepte so gut wie alle Menschen mit ausreichend Nahrung, sauberem Wasser und zeitgemäßer medizinischer Betreuung versorgt.

Interessanter ist da: Es gibt kein Geld mehr. Hossa! Die Wurzel allen Übels - getilgt! Das nennt man eine grandiose Errungenschaft. Oder man nennt es ein weiteres Beispiel für die Masche, etwas Problembehaftetes gegen alle Plausibilität für abwesend zu erklären.

Menschliche Wünsche sind nicht vollständig erfüllbar. Der elementare Grund dafür ist, dass die Ressourcen der Gemeinschaft dafür nicht genügen. Alle Zwecke konkurrieren um Arbeitskraft, Rohstoffe und Energie. Spätestens die abgefahrensten individuellen Spinnereien müssen zwangsläufig unrealisiert bleiben. Selbst bei verständlichen, zutiefst menschlichen Wünschen wie einem späten Tod, einem erfüllten Leben oder wissenschaftlicher Erkenntnis gibt es keinen Endzustand der Befriedigung, der keinen Raum für Verbesserung mehr lässt. Endlichen Ressourcen stehen immer unendliche Anwendungsmöglichkeiten gegenüber, daran wird auch alle Technik der Zukunft nichts ändern. Deshalb braucht jede Gesellschaft, vergangene wie zukünftige, einen Mechanismus, der die verfügbaren Ressourcen den verschiedenen Zwecken zuteilt. Heute tut dies das Geld. Es kann nur dann verschwinden, wenn es durch einen anderen Verteilungsmechanismus vollständig ersetzt wird. Einen solchen erwähnt Picard aber nicht, und damit ist seine Argumentation sinnlos. Keine der euphorischen Aussagen, die er über seine Zeit trifft, begründet das Verschwinden des Geldes.

Man muss nicht einmal den kleinen Kosmos der Enterprise verlassen, um eine Knappheit von Ressourcen zu erkennen - und in Ansätzen auch die Nützlichkeit von Geld. Vor allem der Freizeitbereich macht nachdenklich. Können die Replikatoren unbegrenzt für private Vergnügungen eingesetzt werden? Sicher nicht, denn sie zehren vom begrenzten Vorrat an Energie, den das Schiff mit sich führt. Es wird wohl jedem Besatzungsmitglied nur ein Kontingent gewährt sein. Da aber jeder Mensch andere Vorlieben hat, ist das Kontingent für den einen üppig, für den anderen zu knapp. Wie steht es um die Holodecks? Damit ist die Enterprise - in Anbetracht der Besatzungsstärke von über 1000 Mann - ja doch eher sparsam ausgestattet. Wie wird diese knappe Kapazität zugeteilt? Gibt es eine Auslosung? Oder vielleicht lange Wartelisten wie seinerzeit in der DDR für einen PKW Marke "Trabant"? Oder wandert das Anrecht auf Benutzung in einem Zyklus von einem zum andern? Keine der Varianten berücksichtigt die Vorlieben der Beteiligten, genauer: welche Wichtigkeit die Ressource für die verschiedenen Personen zu den verschiedenen Zeitpunkten hat. Mit einiger Wahrscheinlichkeit würde sich ein Tauschhandel herausbilden, der es den Teilnehmern erlaubt, eine Ressource gegen eine andere zu tauschen - oder gegen die gleiche Ressource zu einem anderen Zeitpunkt. Je länger man nachdenkt, umso mehr potenzielle Tauschobjekte fallen einem ein. Eine schicke Außenkajüte mit Fenster gegen das halbe Replikator-Kontingent? Deal! Selbst private Dienstleistungen unter den Besatzungsmitgliedern sind denkbar und wahrscheinlich, schließlich ist auch in der Zukunft jeder ein Spezialist. Irgendwann würde sich möglicherweise eins der getauschten Güter als Maßstab etablieren, an welchem der Wert aller anderen Güter gemessen wird. Damit wäre man bei einer frühen Entwicklungsstufe von Geld. Die Idee vom Ende des Geldes beruht auf einer falschen Vorstellung von seinem Wesen. Die Tatsache, dass Geld seit Jahrtausenden vom Staat herausgegeben wird, bedeutet nicht, dass der Staat das Geld abschaffen kann. Wenn es kein staatliches Geld gibt, dann eben ein anderes. Geld ist ein Effekt knapper Ressourcen - und irgendwelche Ressourcen sind immer knapp.

Bleibt noch der Rest von Picards Vortrag. Die Menschen der Gegenwart arbeiten, um Reichtümer anzuhäufen? Sollte etwa die einzige Quelle über unsere Zeit, die den dritten Weltkrieg überlebt, das Pamphlet einer linken Splittergruppe sein? Non, mon capitaine. Wir arbeiten, um unser Leben zu gestalten. Und die Menschen der Zukunft arbeiten, um sich "selbst zu verbessern und den Rest der Menschheit"? Schön, aber sollte es dabei nicht einen Mechanismus geben, der einen gewissen Ausgleich bewirkt? Sonst passiert es womöglich, dass der eine den ganzen Tag schuftet, während der andere die Ehre, sein Leben zu verbessern, weitgehend anderen überlässt. Wie wär's mit -- Geld?

Last not least:

Folge 7.8 "Kontakte". Dr. Crusher im Gespräch mit dem Captain: "Was, wenn einer der alten Nationalstaaten, sagen wir Australien, im Jahr 2150 die Weltregierung nicht akzeptiert hätte?"

Die Nationalstaaten der Gegenwart sind also aufgelöst und durch einen weltumspannenden Superstaat mit zentraler Regierung ersetzt worden. Man kann nur hoffen, dass dieser in Belangen wie seinen Konstruktionsprinzipien, seinen Gesetzen oder seinem Bildungssystem so gut wie perfekt ist, denn er wird sich nur noch sehr langsam weiter entwickeln. Er kann nichts mehr von anderen Staaten lernen, denn es gibt keine anderen Staaten mehr. Keine Idee kann sich mehr woanders bewähren und dann übernommen werden. Kein Nachbarstaat kann den Menschen mehr die Augen öffnen, wie kümmerlich es um ihre Lebensqualität bestellt ist. Nach Jahrtausenden hat das breitflächige Experimentieren mit den verschiedenen Konzepten des Zusammenlebens aufgehört. Der Wettbewerb der Nationalstaaten ist eingestellt; er ist nach dem Erreichen gesellschaftlicher Perfektion wohl nicht mehr notwendig. Allerdings: Wie wollte man ohne den Vergleich mit anderen Staaten überhaupt wissen, dass die gewählten Konzepte die bestmöglichen sind? Um mit dem Rezept Superstaat eine leuchtende Zukunft zu verbinden, braucht es ausgesprochen optimistische Annahmen.

Man mag einwenden, dass all diese Dialogtexte erzählerisch ausgeschmückt sind und nicht derartig ernst genommen werden sollten, und auch, dass nicht jeder Satz jedes Charakters zwischen den verschiedenen Autoren abgestimmt und auf seine Vereinbarkeit mit der gemeinsamen Vision hin überprüft ist.

Man mag sogar der Meinung sein, allzu nüchterne Kritik sei prinzipiell unangebracht, weil Star Trek gar nicht der Entwurf einer besseren Zukunft sei, sondern nur so etwas wie der Traum von einer solchen, was logische Unstimmigkeiten zulässt.

Es gibt aber noch ein weiteres Argument dagegen, dass Star Trek eine wünschenswerte Zukunft zeigt, selbst in der Interpretation als bloßer Traum. Dieses Argument hängt nicht mit einzelnen Begebenheiten zusammen, sondern mit einer grundlegenden Eigenschaft der gezeigten Zukunftswelt.

Die "Zukunft" von Star Trek ist so etwas wie eine von Komplexität befreite Version der Gegenwart. Abgesehen von der aufwändigen Technik sind fast alle gezeigten, behaupteten und suggerierten Veränderungen von der Art, dass die Dinge sich vereinfachen, weil Komplexes und Problematisches zusammenschrumpft oder einfach zu existieren aufhört. Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung? Beseitigt. Geld? Gibt es nicht mehr. Wirtschaft? Dem Anschein nach zur Bedeutungslosigkeit verkümmert. Forschung? Braucht keine aufgeblähten Entwicklungsabteilungen, ein paar einsame Genies genügen. Demokratie und ihre Probleme? Verschwunden, auf welche Art auch immer. Selbst die Technik dient zum größeren Teil eher der Vereinfachung als der Bereicherung.

Aber so verläuft der Fortschritt nicht. Das Verschwinden von Problemen ist nur ein Teilvorgang, dem an anderer Stelle ein Anwachsen der Komplexität gegenüber steht. Es gibt viele Einzelfortschritte, die eine größere Komplexität bringen oder erfordern. Auch die Gegenwart ist keine von Problemen befreite Steinzeit und wäre als solche eine Grausamkeit. Viele Annehmlichkeiten unserer Zeit waren nie die Lösung für ein Problem - zum Beispiel das Fernsehen inklusive Star Trek. Das Ansteigen der Lebensqualität geht mit einer wachsenden Komplexität des Lebens einher, nicht mit einer sich vermindernden. Selbst die Anzahl der Probleme wird dabei nicht geringer, sondern größer; das ist kein Widerspruch. Die Star-Trek-Zukunft ist nicht wünschenswert, weil sie nur den halben Fortschritt zu bieten hat. Die Charaktere verbringen ihre freien Stunden gemütlich mit dem Spielen Jahrhunderte alter Musikinstrumente, mit interaktiven Versionen alter Krimis, mit geselligem Beisammensein in 10-Vorne und mit Reiten. Die Zukunft, so darf man hoffen, wird Spannenderes bieten.

Vermutlich werden sich dereinst im realen 24. Jahrhundert ein paar historisch interessierte Datenstöberer die alten Folgen von "The Next Generation" ansehen. Wahrscheinlich ist, dass sie bei Weitem nicht die märchenhafte Technik von Star Trek zur Verfügung haben werden. Wahrscheinlich ist aber auch, dass ihnen das gezeigte Leben mittelalterlich und öde vorkommen wird, weil es kulturell kaum mehr bietet als das späte 20. Jahrhundert.

21.05.2014

Weitere Themen:
Wie Nachrichten die Welt zeichnen
Hoch lebe die kleine Idee
Über das beliebte Gleichsetzen von Korrelation und Kausalität
Die Welt auf dem Konto
Die Untauglichkeit von Glück als Ziel und Erfolgskriterium einer Gemeinschaft
Kann ein Spiegel Bewusstsein aufzeigen?
Vom bewussten Umgang mit begrenzter Intelligenz
Der Baukasten des Unwirklichen
Zwei Wege, aus Fehlern zu lernen
Empfehlungen sind deskriptive Aussagen
Die letzte Unterrichtsstunde
fernpunkt.steffengerlach.de | Kontakt | Impressum